Interview mit Peta, März 2020
Mit ihrem Projekt „Ullihunde“ hat Hunde-Expertin Ulli Reichmann einen ganz neuen Ansatz für das Zusammenleben von Mensch und Hund auf Augenhöhe entwickelt. Vier Bücher hat die ehemalige Trainerin
bereits veröffentlicht, und zahlreiche Hundetrainer in Deutschland, Österreich und der Schweiz wenden ihre Philosophie an. Diese teilt sie auch auf ihrem Blog Ullihunde.com.
Wir haben die Expertin gefragt, wie sie zu ihrem „Ullihunde“-Projekt kam, wie sich ein Zusammenleben auf Augenhöhe mit Hunden gestaltet und woran man erkennt, ob der eigene Hund wirklich
glücklich ist.
Was ist ein Ullihund und woher kommt der Begriff?
Ein Ullihund ist einer, dessen Mensch damit aufgehört hat, sich als Krone der Schöpfung zu fühlen und Hunde nicht (mehr) als Untergebene ansieht, sondern als höchst interessante gleichwertige
Wesen einer anderen Art.
Ich habe nie vorgehabt, meinen eigenen Namen für mein „Projekt“ zu verwenden. Nachdem mir aber zu Ohren kam, dass Menschen, die meine Kurse absolviert hatten, an ihrem/meinem Umgang mit Hunden
erkannt und ihre Hunde als „Ullihunde“ bezeichnet wurden, habe ich diesen Begriff ein fach fürs Erste übernommen. Irgendwann wollte ich nach einem schöneren Namen suchen, aber der Begriff
hat sich inzwischen verselbstständigt, und so ist es einfach dabeigeblieben.
Bist du selbst auch Halterin von „Ullihunden“? Und was ist das Besondere daran?
Natürlich bin ich das! Und als „Halterin“ muss ich mich ja nur bezeichnen, weil ich eben für deren „Haltung“ verantwortlich bin und Hunde noch nicht als nichtmenschliche Personen anerkannt sind. Aber in Wahrheit „halte“ ich sie nicht, sondern lebe mit ihnen. Wobei „Halten“ ja auch etwas Positives sein kann. Dann nämlich, wenn sie in unverständlichen Situationen (an der Leine) gehalten werden wollen oder das (an der Leine) Halten ihrer Sicherheit dient. Also ja, in diesem Sinn bin auch ich eine Halterin von Ullihunden.
Wie kamst du darauf, das Projekt „Ullihunde“ zu gründen, was waren die Auslöser dafür?
Ursprünglich war ich eine zwar sehr freundliche, aber dennoch ganz normale Trainerin in einer Hundeschule. Richtige Einblicke in dieses System bekommt man ja erst, wenn man involviert ist. Ich
habe also nach und nach bemerkt, dass auch in durchwegs mit positiver Verstärkung arbeitenden Hundeschulen das Lernklima für Hunde oft nicht wirklich optimal ist. Daran sind meist nicht einmal
die Hundeschulen an sich schuld, aber um zumindest kostendeckend zu sein, muss eine gewisse Anzahl von Kursen angeboten werden und diese Kurse müssen auch belegt sein. Das Ergebnis sind oft viel
zu viele Hunde und Menschen, die gleichzeitig trainieren, also dem Hund etwas beibringen und dabei selbst etwas lernen möchten. Zudem war es damals noch so, dass das Ziel im Grunde das Ablegen
von Prüfungen in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen war. Prüfungen machen aber immer Druck oder erwecken menschlichen Ehrgeiz. Und wo menschlicher Ehrgeiz ins Spiel kommt, werden Hunde zu
Verlierern. Das ist nicht meine Welt!
Ich habe mir daraufhin mit einem Partner den Traum einer eigenen Hundeschule erfüllt, in der natürlich alles anders und viel besser sein sollte. Das war es anfangs auch.
Im Lauf der Zeit haben sich aber unsere Ansichten immer weiter voneinander entfernt. Die Hundeschule ist immer noch eine von den Guten, aber in diesem erstarrenden Konzept war ich einfach nicht
mehr glücklich. Deshalb habe ich mich in großer Verzweiflung und unter Tränen von meinem ehemaligen Traum verabschiedet und die Hundeschule verlassen.
Von meinen eigenen Ideen (besonders im Bereich „jagende Hunde“) wollte ich mich aber nicht verabschieden, und so habe ich damit begonnen, Kurse auf MEINE Art anzubieten. Der Bedarf war
anscheinend groß, denn aus dem kleinen Ullihunde-Pflänzchen ist mittlerweile ein recht stattlicher Baum geworden.
Frei nach dem Motto „Der Hund ist der beste Freund des Menschen“ – ist das wirklich so? Sind wir und unsere Hunde Freunde? Oder ist das Verhältnis eher einseitig und gar nicht freundschaftlich?
Auch wenn man die extremsten Auswüchse menschlicher Gemeinheit außer Acht lässt, bleibt das Freundschaftsverhältnis immer noch sehr einseitig. Am besten gefallen mir die, die im Brustton der
Überzeugung behaupten, ihren Hund zu lieben und mir im nächsten Satz dann erklären „aber ein Hund muss ein Hund bleiben“. Als würde ihm etwas anderes übrigbleiben …
Natürlich verwandelt sich ein Hund nicht in ein Meerschweinchen, wenn man ihn wie einen Freund behandelt, aber was diese Aussage eigentlich bedeutet, ist viel entlarvender. Ein Hund hat viel
weniger Rechte und viel mehr Pflichten als seine angeblich besten Freunde in all ihrer vermeintlichen Überlegenheit.
- Er soll sich umgehend an die Menschenwelt anpassen, jeden uninteressanten Mist mitmachen, dabei aber nicht stören, auf Befehl sportliche Höchstleistungen erbringen und danach wieder unauffällig auf den ihm zugedachten Platz verschwinden.
- Er soll alle anderen Hunde mögen, gröbste Unhöflichkeiten von Menschen und deren Kindern klaglos ertragen, keinesfalls seinen Unmut zeigen, geschnauzte Ein-Wort-Sätze umgehend begreifen und jedes noch so stupide Training begeistert als wohlmeinende Beschäftigung annehmen.
- Er, als Meister der feinen Töne, soll die Befehlsform als Kommunikation anerkennen und seine eigene Ausdrucksfähigkeit gefälligst dauerhaft hintanstellen.
Leider kann er, auch wenn er diesen Umgang kaum mehr erträgt, nicht einfach ausziehen. Und wehe, er wehrt sich einmal, dann sind die Zeitungen voll davon und er wandert ins Tierheim oder gleich
ins Grab.
Also nein, wir sind von wahrer Freundschaft noch sehr weit entfernt, obwohl Hunde es uns eigentlich sehr leicht machen würden, ihre besten Freunde zu sein.
Wie sollte aus deiner Sicht ein partnerschaftliches Zusammenleben mit einem Hund aussehen?
Vor allem sollten wir einmal damit aufhören, jegliches normale Hundeverhalten als Problem anzusehen. Hunde haben immer Gründe für ihr Tun. Ein Hund bellt nicht, um Geräusche abzusondern oder uns
zu quälen, sondern weil er etwas zu sagen hat. Er knurrt auch nicht, weil er uns herausfordern möchte, sondern weil er höflich „Bitte nicht“ sagt. Und er jagt nicht, weil er uns nicht
respektiert, sondern weil er‘s kann.
Hunde haben die gleichen Gefühle wie wir. Aber während wir stundenlang über unsere eigenen lamentieren können, werden die des Hundes überhaupt nicht ernst genommen.
Der erste Schritt für ein partnerschaftliches Zusammenleben ist für mich die Erkenntnis, dass wir nicht den Hund zugunsten der Umwelt verändern sollten, sondern an seiner Seite stehend
unsere Umwelt für ihn.
Wenn er zum Beispiel keine Hundekontakte möchte, muss er auch keine haben, auch wenn die Nachbarin das noch so gerne hätte.
Wenn er Probleme mit dem Autofahren hat, verändere ich die Bedingungen so, bis er die Vorteile erkennt und nicht nur durch Training lernt, es zu ertragen.
Beim Wort „Trainieren“ bin ich überhaupt vorsichtig, denn meistens ist das Trainingsziel, den Hund zu verändern, auch wenn man es gut mit ihm meint. Außerdem begibt man sich dadurch oft auch
unbewusst in ein Lehrer-Schüler-Verhältnis und denkt, dass man es besser wüsste, ohne richtig zugehört zu haben.
Wie erkenne ich als Hundehalter, ob mein Hund wirklich glücklich ist und was seine Bedürfnisse sind?
Indem ich zuhöre. Und zwar richtig! Runter vom hohen Ross, weg mit den Meinungen anderer, die bestimmen, wie ein Hund zu sein hätte. Nur zwei Personen unterschiedlicher Arten, mit gleichen
sozialen Bedürfnissen und Gefühlen, auf Augenhöhe.
Weg mit Unterstellungen, Befehlen und Erwartungen. Und her mit Neugier und den eigenen Gefühlen, denen man nämlich durchaus vertrauen darf, wenn man ihnen wieder erlaubt, ungeschminkt ihre
Meinung zu sagen. Was sich nämlich nicht gut anfühlt, ist auch nicht gut. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf dem man seine höchst individuellen Beziehungen zu jedem anderen Lebewesen
aufbauen kann.
Ob der Hund, mit dem man lebt, glücklich ist, kann er uns nur selbst sagen – und das tut er, darauf kann man sich verlassen. Aber wie gesagt, man muss ihm auch zuhören.
Abgesehen davon ist „glücklich sein“ kein Dauerzustand. Kein Lebewesen kann dauerglücklich durch die Gegend laufen. Auch der zufriedenste Hund nicht. Das wäre auch kein wirklich erstrebenswerter
Zustand, denn um richtige Lebensfreude zu spüren, muss man auch die Sehnsucht kennen und Leidenschaft und Trauer. Dann kommt auch das pure Glück. Und wenn man das kennt, erkennt man es auch bei
seinen Freunden.
Welche Fehler siehst du häufig bei Hundehaltern?
Fehler, hm … der weitaus häufigste ist meiner Ansicht nach der, dass Hunde immer noch wie Aliens betrachtet werden. Da werden abstruseste Theorien zu ihrem Verhalten ersonnen, und Ratgeber zu
ihrer Erziehung klingen wie strategische Kriegsführung.
Ich denke, auf dieser falschen Grundeinschätzung basieren alle anderen Fehler, die Hundehalter begehen.
Es sind aber Hunde. Von der Erde. Und sie lieben uns (warum auch immer).
Jeden Tag sehe ich Hunde, die ihre Menschen genauso vertrauensvoll wie vergeblich um Rat fragen, und ich sehe Hunde, die nichts mehr fragen, weil sie sich der Sinnlosigkeit dieses Tuns bewusst
geworden sind. Ich weiß nicht, welche mich mehr schmerzen.
Ignoranz ist also auch ein sehr häufig beobachteter Fehler. Und ja, Grobheit! Hunde kommunizieren äußerst fein. Wir trampeln oft darüber hinweg und unterstellen dann seltsame Dinge wie Ungehorsam
oder mangelnde Bindung (ein Widerspruch, der kaum jemandem auffällt, denn Bindung kann ja wohl nur beidseitig funktionieren). Und dann wird daran gearbeitet – allerdings nur an der vom Hund zu
uns …
Möglicherweise sind Hunde ja doch Aliens. Solche mit einem Auftrag und ausgestattet mit Superkräften, um die Menschheit zu retten. Denn manchmal kann ich mir wirklich nicht anders erklären, warum
sie immer noch so offenkundig gern mit uns zusammen sind.
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